Interview: Die Auswirkungen der Tokenisierung von Assetklassen auf Intermediäre des Kapitalmarktes

Das auf Blockchain-Technologie basierende Konzept der Tokenisierung wird weitreichende Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und dessen Intermediäre haben. Die Möglichkeit beliebige Wertgegenstände und Rechte digital, in Form von Token darzustellen, bietet enormes Potenzial für das Anlageuniversum und stellt traditionelle Finanzmarktakteure auf die Probe. In einem Interview beantworten Prof. Dr. Philipp Sandner und Benjamin Schaub vom Frankfurt School Blockchain Center die wichtigsten Fragen zur Tokenisierung und dessen mögliche Auswirkungen.

Frage: Herr Prof. Sandner, zum Einstieg, welchen Einfluss kann die Blockchain-Technologie denn generell auf den Kapitalmarkt nehmen?

Philipp Sandner: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Infrastruktur der Kapitalmärkte auf Blockchain-Technologie basieren wird, also die Plattform für Transaktionen aller Arten von Wertgegenständen bildet. Hierzu gehören der Blockchain-basierte digitale Euro, aber auch alle Arten von Wertpapieren.

Frage: Eine essenzielle Rolle für Transaktionen auf Blockchain-basierten Systemen spielen Token. Was verstehen Sie unter diesem Begriff bzw. unter dem Begriff der Tokenisierung?

Benjamin Schaub: Die beste Veranschaulichung und Erklärung zu diesem Thema ist das Token Container Modell aus dem Liechtenstein Blockchain Act. In diesem Modell wird das Token als eine technische Hülle betrachtet, die ein Recht beinhalten kann. Das Token dient dann dazu beispielsweise das Recht an einem Wertpapier auf einem Blockchain System abzubilden und analog zu einem Container zwischen Nutzern transportieren zu können. Ein Token repräsentiert also die Schnittstelle zwischen Technik und Recht. Somit wird klar, dass ein Security Token kein neues Finanzinstrument darstellt, sondern ein existierendes Recht auf dem Kapitalmarkt, welches verpackt in einem Token auf einem Blockchain System notiert.

Frage: Welchen Einfluss wird die Tokenisierung auf die heutigen Asset-Klassen haben?

Philipp Sandner: Aktuell spielen Token noch keine große Rolle, weil beispielsweise die Anzahl der Security Token noch relativ gering ist. Dies liegt zum einen an noch offenen regulatorischen Fragen, aber auch die Gesetzgebung — z. B. die urkundliche Verbriefung von Wertpapieren — erschwert aktuell die Tokenisierung von Assets. Hinzu kommt, dass Investoren das Thema noch nicht hinreichend verstanden haben. Zukünftig werden jedoch alle Kapitalmarktkonstrukte durch Token auf einem Blockchain-System repräsentiert. In Deutschland wird dieser Prozess zunächst mit elektronischen Schuldverschreibungen starten.

Frage: Nachdem wir nun den Begriff und den Einfluss von Token auf den Kapitalmarkt thematisiert haben, welche Vor- und Nachteile bringen diese mit sich?

Benjamin Schaub: Problematisch sind aktuell IT-Sicherheitsthemen im Hinblick auf kriminelle Aktivitäten, wie beispielsweise Diebstahl. Weiterhin gibt es stellenweise unklare Regeln bzgl. der Handhabung und Prävention von Geldwäsche, denn mit Hilfe der Blockchain-Technologie ist es nämlich möglich beliebige Werte global von Nutzer zu Nutzer zu transferieren. Ansonsten besteht im internationalen Kontext für einzelne Länder eher eine Gefahr darin sich zu wenig mit den technologischen Implikationen von Blockchain auseinanderzusetzen und somit den Anschluss zu verlieren.

Frage: Und welchen Mehrwert schaffen Token gegenüber dem aktuellen System?

Philipp Sandner: Zwar eben im negativen Zusammenhang genannt, aber ein prinzipiell sehr positiver Aspekt von Token, ist die Option beliebige Assets grenzüberschreitend, weltweit zu transferieren. Ein weiterer Vorteil besteht in der Möglichkeit Vermögensgegenstände in Form von Token zu fraktionalisieren. Somit können beispielsweise Aktien oder auch Immobilien nicht nur vollständig, sondern in Bruchteilen erworben werden. Dies birgt enormes Potenzial, da der anteilige Besitz mehrerer Assets beispielsweise in Form von Token gebündelt und somit z.B. zu einem Fonds ausgestaltet werden kann. Auch hinsichtlich der Dauer der Wertpapierabwicklung bringen Blockchain-basierte Systeme Vorteile gegenüber der aktuellen verwendeten Technologie mit. Die Blockchain-Technologie ermöglicht eine Abwicklung in Echtzeit inkl. Transaktionsfinalität, wohingegen heutige Systeme hierfür bis zu zwei Tage benötigen.

Frage: Kommen wir nun zu den Akteuren der Finanzmärkte. Wie wird sich die Tokenisierung auf die Rollen der einzelnen Kapitalmarktintermediäre auswirken?

Benjamin Schaub: Alle Intermediäre, die aktuell die Funktion haben eine Transaktion technisch bzw. regulatorisch zu ermöglichen, werden in diesem Bereich die digitale Transformation zu spüren bekommen, weil die Technologie zukünftig diese Funktion übernehmen wird. Bereiche mit anderen Kompetenzen, wie z.B. die Einhaltung von regulatorischen Anforderungen, Risikoanalysen oder auch das Rating von Assets werden aber in den Händen bestehender Intermediäre bleiben.

Frage: Und welche Rolle werden Banken spielen, werden diese in Zukunft überhaupt noch benötigt?

Philipp Sandner: Banken werden auch zukünftig definitiv benötigt. Mit der richtigen Strategie werden sie sogar von der Blockchain profitieren können, auch wenn das Transaktionsgeschäft von der Technologie übernommen wird. Vor allem in der sicheren Verwahrung von Assets werden Banken auch in künftig eine fundamentale Rolle spielen. Im Zuge der Tokenisierung muss eine Bank nicht nur Währungen, Wertpapiere und Immobilien technisch sicher verwahren, sondern auch den Personalausweis, die Krankenakte und den Fahrzeugschein.

Frage: Lassen Sie uns nun einen Blick auf die Kapitalgeber, die Seite der Anleger, werfen. Welche Möglichkeiten werden sich Investoren durch die Tokenisierung bieten?

Benjamin Schaub: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das Anlageuniversum sehr stark erweitern wird. Die Blockchain-Technologie ermöglicht es sehr effizient und unkompliziert in beispielsweise Immobilien, Kunst, Maschinen und Autos zu investieren. Vor allem eröffnen sich diese Märkte nicht nur institutionellen Investoren, sondern auch privaten Anlegern, da künftig auch kleinere Beträge von z.B. 100 Euro effizient angelegt werden können. Eine spannende Entwicklung ist daher im Bereich der Sachwerte zu erwarten, denn der technologische Fortschritt ermöglicht auch kleinere Summen grenzüberschreitend in eine Vielzahl an Sachwerte zu investieren, einem Markt, der Stand heute hauptsächlich aus Gold und Immobilien besteht.

Frage: Wie sieht die Situation für die Emittenten von Wertpapieren aus, vor allem im Hinblick auf die Ausgabe von digitalen Wertpapieren durch Security Token Offerings?

Philipp Sandner: Für bereits existierende Kapitalmarktprodukte ist festzuhalten, dass es aus technischer Sicht möglich wäre beispielsweise eine Aktie von Daimler auf eine Blockchain-basierte Plattform zu übertragen. Ob und in welcher Ausprägung dies geschehen wird, ist sehr spekulativ und bleibt natürlich abzuwarten. Enormes Potenzial für die nächste Entwicklungsstufe am Finanzmarkt steckt aber darin, kleinere Kapitalmarktprodukte in der Form von Security Token investierbar zu machen, z.B. projektspezifische Investitionen oder im Bereich Leasing. Aktuell bedeutet der Kauf beispielsweise einer Siemens Aktie eine Investition in das Geschäftsmodell, die Marke, die Patente, die Gebäude etc. In Zukunft ist es denkbar, dass ein Asset in seine einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann, so dass zum Beispiel die Marke oder die Immobilien singulär, in Form eines Tokens am Kapitalmarkt handelbar sind. Investoren könnten somit künftig selbst entscheiden, ob sie, um ein Beispiel aus Bereich Carsharing zu nehmen, in das Geschäftsmodell einer Firma wie Sixt oder Europcar investieren möchten oder in deren Autoflotte.

Frage: Ein weiteres großes Thema im Bereich Blockchain sind Smart Contracts mit deren Hilfe viele Prozesse im Bezug auf Transaktionen automatisiert werden können. Welchen Einfluss werden Smart Contracts Ihrer Meinung auf Verträge zwischen Kapitalmarktteilnehmern haben?

Benjamin Schaub: Überall dort wo Verträge bestehen, deren Prozesse ein hohes Maß an Standardisierung mit sich bringen, beispielsweise im Bereich Leasing, Factoring und Kredite, werden Smart Contracts eine große Rolle spielen. Im Prinzip ist es die Kernaufgabe von Smart Contracts Verträge bzw. Prozesse zu standardisieren und die dazugehörigen Transaktionen automatisiert durchzuführen. Bei großen Assets allerdings, die durch manuelle Eingriffe und individuelle Verträge transferiert werden, z.B. im Bereich M&A, werden Smart Contracts voraussichtlich nicht zum Einsatz kommen.

Frage: Werden Smart Contracts, durch die angesprochene Automatisierung bzw. Standardisierung von Prozessen, Auswirkungen auf die Transaktionskosten haben?

Philipp Sandner: Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Effizienzgewinne der Blockchain-Technologie gesamtheitlich zu betrachten. Dazu gehören die geringeren Transaktionskosten, aber auch die Transaktionsdauer, die im Hinblick auf die Transaktionsfinalität wesentlich verbessert wird. Auch die Validität der Daten, also die Fehleranfälligkeit der Systeme, wird deutlich optimiert. Es geht zusammenfassend also um die drei Elemente, Kosten, Zeit und Validität der Daten, wenn von Effizienz der Blockchain-Technologie gesprochen wird.

Frage: Abschließend, besitzen Blockchain-Technologie und Smart Contracts das Potenzial die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Anleger, Emittent und Intermediär zu reduzieren?

Benjamin Schaub: Im Prinzip ist Ausprägung, mit der sich die Informationseffizienz bzw. Transparenz von Blockchain-basierten Systemen ausdrückt, abhängig vom Investitionsobjekt. Bei einem Sachwert, z.B. einem Auto, das in Form eines Tokens in einem Leasingmodell einen Cashflow generiert, ist es durchaus denkbar, dass Blockchain-Technologie die volle Transparenz für optimale Investitionsentscheidungen ermöglicht. Wenn wir aber über Aktien sprechen, also die Bewertung der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells eines börsennotierten Unternehmens wird Transparenz allein nur bedingt helfen. Für diese Art von Investitionsentscheidungen wird eine persönliche Meinung, also beispielsweise die Einschätzung eines Analysten benötigt.

Remarks

If you like this article, we would be happy if you forward it to your colleagues or share it on social networks. If you are an expert in the field and want to criticize or endorse the article or some of its parts, feel free to leave a private note here or contextually and we will respond or address.

Do you want to learn more about how blockchain will change our world?

About the Authors

Prof. Dr. Philipp Sandner has founded the Frankfurt School Blockchain Center (FSBC). From 2018 to 2021, he was ranked among the “top 30” economists by the Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), a major newspaper in Germany. He has been a member of the FinTech Council and the Digital Finance Forum of the Federal Ministry of Finance in Germany. He is also on the Board of Directors of FiveT Fintech Fund and Blockchain Founders Group — companies active in the field of blockchain startups. The expertise of Prof. Sandner includes crypto assets such as Bitcoin and Ethereum, decentralized finance (DeFi), the digital euro, tokenization of assets, and digital identity. You can contact him via mail (m@philippsandner.de) via LinkedIn or follow him on Twitter (@philippsandner).

Benjamin Schaub ist Projekt Manager und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC). Seine Interessensgebiete sind vor allem Regulation und Governance in Bezug auf Blockchain Technologie sowie die Identifizierung von Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain Technologie. Sie können ihn per Mail (benjamin.schaub@fs-blockchain.de oder auf LinkedIn (www.linkedin.com/in/benjamin-schaub) kontaktieren.

--

--