Blockchain und Marketing
Seit der Publikation des Bitcoin Whitepapers im Jahr 2008, auf Grundlage dessen eine digitale Kryptowährung geschaffen wurde, erfährt die zugrundeliegende Blockchain-Technologie eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit. Die Blockchain stellt eine dezentrale Datenbanktechnologie dar, die aufgrund ihrer zahlreichen positiven Eigenschaften — Transparenz, Nicht-Manipulierbarkeit, Peer-to-Peer-Transaktionen u.v.m. — als Innovation betrachtet wird, die Experten zufolge die Wirtschaft der Zukunft verändern wird. Die meisten Anwendungen decken dabei aktuell den Finanzsektor ab. — Autoren: Jessica Scherf, Prof. Dr. Lutz Becker
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Was passiert, wenn die Vorteile, die die Blockchain-Technologie bietet, mit den Wünschen der Kunden und den Herausforderungen sowie Problemen im Marketing von Unternehmen gekoppelt werden, um damit einen Wandel des Marketings anzustoßen?
Einleitung
Auf Basis dieser Frage gilt es herauszuarbeiten, wie Unternehmen die Blockchain-Technologie für ihre Marketingstrategie nutzen können. Welche Möglichkeiten stellt die Technologie den Unternehmen und im weiteren Sinne dann auch ihren Kunden zur Verfügung? Über welche Kanäle und auf welche Weise können Kunden auf eine vertrauensvolle Art und Weise erreicht werden? An welchen Problemstellen kann die Blockchain-Technologie im Marketing noch eingesetzt werden?
Aus diesem Erkenntnisinteresse ergibt sich die folgende wissenschaftliche Fragestellung, die in diesem Paper behandelt werden soll:
- Welche Optionen bietet die Blockchain-Technologie für das Marketing von Unternehmen?
Von dieser leitenden Forschungsfrage lassen sich weitere Fragestellungen ableiten, die zur Spezifizierung des Forschungsgebietes beitragen sollen:
- Welche Einflusspotenziale hat die Nutzung der Technologie auf Marketing und Kommunikation?
- Wie können Unternehmen die Technologie als Wettbewerbsvorteil nutzen?
In einer zweistufigen, qualitativen empirischen Erhebung werden mit Blockchain-Experten konkrete Anwendungsbeispiele der Blockchain-Technologie für das Marketing herausgearbeitet (Interviewphase I), um diese anschließend mit Marketing-Experten aus verschiedenen Branchen auf ihre Relevanz und Realisierbarkeit in verschiedenen Branchen zu prüfen (Interviewphase II).1 Dabei stellt sich die Frage:
- Ist die Blockchain-Technologie bereits ausgereift genug, um für das Marketing im Massenmarkt eingesetzt zu werden?
Relevante Entwicklungen im Marketing
Es gab eine Marketing Revolution, die digitale Revolution.
Mit dieser Aussage verdeutlicht der Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Marketing, Philip Kotler, was heutzutage verstärkt sichtbar ist: Die Digitalisierung verändert das Marketing aktuell und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft. Dieser Wandel geht über die Nutzung innovativer Technologien hinaus, denn Marketing und Markenführung müssen im digitalen Wandel vielmehr neu gedacht werden (Munzinger/Wenhart, 2012) (siehe Abbildung 1).
Wenn der Wunsch oder der Bedarf nach einem Produkt aufkommt, ist das Vorgehen der Konsumenten zur Zeit des digitalen Wandels ein anderes, als es noch vor dem Aufkommen des Internets der Fall war. Durch das Internet hat sich für den Konsumenten eine neue Freiheit entwickelt. Ihm steht eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfügung, sich jederzeit und überall Informationen über Produkte einzuholen, Preise zu vergleichen, das gewünschte Produkt aus einer Vielzahl von Angeboten auszuwählen und zu den bestmöglichen Konditionen zu erwerben (Borst, 2017). Durch diese neue Freiheit gilt der Kunde als selbstbewusster (Schumacher, 2017), unabhängiger, kritischer sowie fokussiert auf seine Wünsche und
Erwartungen (Fader, 2012). Die neue Freiheit resultiert außerdem in einer schwindenden Loyalität und Bindung des Konsumenten an Unternehmen und Marken (Fader, 2012). Um als Unternehmen oder Marke in diesem starken und konkurrenzgetriebenen Wettbewerb bestehen und langfristige Gewinne sicherstellen zu können, ist es daher notwendig, auf die sich wandelnden Kundenerwartungen einzugehen, die Kunden zufriedenzustellen und damit eine langfristige Kundenbindung zu erreichen (Egboro, 2015). Das Big Data-Marketing sowie der Customer Centricity-Ansatz stellen dabei zwei unterschiedliche strategische, die ganzheitliche Customer Experience einen operativen Ansatz dar, die diesen Wandel aufgreifen.
Aber auch gesellschaftliche und marktbezogene Entwicklungen stoßen diesen Wandel des Marketings an. Dabei bildet sich insbesondere die hohe Relevanz von Transparenz und Vertrauen im Marketing heraus, die ausschlaggebend für eine positive Beziehung und Bindung zwischen Unternehmen und Konsumenten sind. Darüber hinaus gewinnt das Thema Nachhaltigkeit im Marketing verstärkt an Aufmerksamkeit. Dies ist nicht zuletzt damit zu begründen, dass Nachhaltigkeit zu einem Leitbild für die heutige Gesellschaft geworden ist. Konsumenten, aber auch Unternehmen orientieren sich an der Idee der Nachhaltigkeit, durch die eine Entwicklung verfolgt wird, die sicherstellt „that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (World Commission on Environment and Development, 1987) — mit dem Ziel, eine intergenerative Gerechtigkeit zu schaffen (Balderjahn, 2013).
Durch die Vielfältigkeit der Möglichkeiten, wie die Blockchain-Technologie für das Marketing genutzt werden kann, stellt die folgende Tabelle 1 weitgreifend relevante Entwicklungen im Marketing dar. Der Fokus in dieser Arbeit liegt auf Marketing-Aktivitäten, die direkt an den Endkunden2 gerichtet sind (B2C).
Die Blockchain-Technologie und ihre Nutzungs-möglichkeiten im Marketing
Bitcoin, Ether und Co. — Kryptowährungen sind durch den aktuellen Medien-Hype bereits vielen Personen ein Begriff, die zugrundeliegende Blockchain-Technologie ist jedoch weitestgehend unbekannt. Dies bestätigt auch eine Umfrage aus dem Jahr 2016, wonach 81%3 der Befragten angaben, die Technologie nicht zu kennen (PwC, 2016). Nach Einschätzungen von Technologie-Experten scheint es notwendig, dieses Wissen aufzubauen, da sie die Blockchain-Technologie als eine Möglichkeit sehen, „to revolutionize applications and redefine the digital economy“ (Underwood, 2016). Aus dieser Diversität könnte ein Bezug zur Crossing the Chasm Theory (Moore, 2014) hergestellt werden, wonach sich die Blockchain-Technologie aktuell noch im Early Market befindet und ihr Sprung zur Adaption in den Massenmarkt nicht bzw. nur vereinzelt gelungen ist.
Im folgenden Kapitel sollen konkrete Use-Cases herausgearbeitet werden, wie die Blockchain-Technologie für das Marketing von Unternehmen eingesetzt werden kann. Diese Use-Cases ergeben sich einerseits aus vorhandener Literatur, andererseits aus den Interviews mit Blockchain-Experten in Interviewphase I.
Use-Case 1: Nachverfolgbarkeit der Supply-Chain von Produkten
In Kapitel 2 wurde bereits kurz darauf eingegangen, dass Vertrauen und Transparenz im Marketing für Konsumenten einen hohen Stellenwert haben. Immer häufiger wird jedoch aufgedeckt, dass Unternehmen beispielsweise falsche Angaben über die Herkunft von Produkten oder die dortigen Arbeitsbedingungen machen und damit versuchen, diese Umstände über Umwege — beispielsweise Zwischenlieferanten — zu verschleiern.4 Der erste Use-Case setzt genau an dieser Stelle an, da durch die Umsetzung dieses Use-Cases Transparenz über die Supply-Chain von Produkten geschaffen werden soll.
Die Idee besteht darin, die Blockchain-Technologie in die Wertschöpfungskette der Produkte zu implementieren, wodurch ermöglicht werden soll, die gesamte Wertschöpfungskette eines Produktes nachvollziehbar zu machen. Darunter würden unter anderem Informationen über die Herkunft der Rohmaterialien und Inhaltsstoffe, Informationen über die (faire) Bezahlung der Arbeiter, die Weiterverarbeitung sowie beispielsweise die Einhaltung einer Kühlkette fallen (Project Provenance Ltd., 2015 & 2016).
Zur Umsetzung erhält jedes Produkt einen digitalen Ausweis („digital passport“ (Project Provenance Ltd., 2015)). Die Ausführung, wie das Produkt markiert wird, kann je nach Art des Produkts/der Ware variieren. Denkbar sind Lösungen in Form eines RFID-Chips, eines Secure QR-Codes (Scherf, 2017a), eines digitalen Abbilds seiner individuellen Eigenschaften (Everledger Ltd., 2017)5 oder weiterer Smart-Tags (Project Provenance Ltd. [2017d). Das Unternehmen Project Provenance Ltd. setzt diesen Use-Case bereits vereinzelt für die Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie um. Dazu werden u.a. Fische anhand eines Fotos identifiziert, mit einem digitalen Passport versehen und in die Blockchain gespeichert. Das Unternehmen Everledger macht Gleiches mit Diamanten, die mithilfe ihrer individuellen physischen Charakteristika digital abgebildet werden. Damit kann sichergestellt werden, dass es sich exakt um den identifizierten Diamanten und nicht um eine Fälschung handelt (Everledger Ltd., 2017). Wird ein Produkt nun von der Produktion in den Logistikprozess übergeben, kann es dort in Echtzeit überall getrackt werden, da auch die Transport-Container als IoT-Devices über eine digitale Identität in der Blockchain verfügen können (Stöcker/Rüther, 2017). Über die gesamte Supply-Chain hinweg wird mittels dieser technologischen Lösungen immer dort ein „digital ‚Handshake’“ (Project Provenance Ltd., 2017b) in der Blockchain registriert, wo das Produkt weiterverarbeitet wird. Beispielsweise wird jeweils die ID eines Fisches mit der ID des Fischers oder des Züchters verknüpft. Dies geschieht fortan über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg (siehe Abbildung 2).
Neben der Nachverfolgbarkeit der Produkte können beispielsweise auch Zertifikate darüber abgespeichert werden, dass die Fischer für nachhaltigen Fischfang zertifiziert sind oder, dass es sich um einen echten, ethisch korrekt geschürften Diamanten handelt (The Provenance Team, 2017). Diese Daten werden unveränderbar und fälschungssicher in einer dezentralen Datenbank abgelegt.
Diese Informationen können dann zu Marketingkommunikations-Zwecken dem Kunden, der beispielsweise eine dafür entwickelte App benutzt, zur Verfügung gestellt werden, um die Transparenz dieser Produkte nachvollziehbar darzulegen. Die Informationen können dabei im E-Commerce, aber auch im stationären Handel über das Scannen der Barcodes oder anderer Smart Label vom Kunden abgerufen werden. Umgesetzt werden kann dieser Use-Case für alle physischen Produkte (Project Provenance Ltd., 2015).
Unternehmen und Kunden können aus der Nutzung der Blockchain zur Nachverfolgung der Supply-Chain profitieren. Der Konsument erhält auf seinen Wunsch verifizierte und nicht manipulierbare Informationen über die Herkunft (Provenance) und Verarbeitung eines bestimmten Produktes. Durch die Möglichkeit, die Geschichte hinter diesem einen Produkt kennenzulernen, entsteht für den Kunden darüber hinaus eine neue Form des Markenerlebnisses (Scherf, 2017a). Er kann, je nach Produkt, die Authentizität des Produktes nachvollziehen und bestätigt bekommen (Project Provenance Ltd., 2017a). Die neue Transparenz, die den Kunden angeboten wird, kann sich für Unternehmen insofern positiv auswirken, als dass Kunden potenziell ein größeres Vertrauen in ein Unternehmen und dessen Kommunikation aufbauen können (Project Provenance Ltd., 2017b). Daraus kann sich eine stärkere Loyalität des Kunden gegenüber einem Unternehmen bzw. einer Marke bilden.
Zu hinterfragen bleibt, wie sichergestellt werden kann, dass die Label oder Smart-Tags, die ein Produkt identifizieren, während der gesamten Supply-Chain nicht ausgetauscht oder manipuliert werden können. Ein solches Risiko würde bei der Charakterisierung eines Produktes anhand seiner physischen Eigenschaften, siehe Everledger, nicht bestehen.
Bereitschaft zu Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Supply-Chain auf Seiten der Unternehmen
Die Bereitschaft zu Umsetzung eines entsprechenden Use-Cases wurde in Interviews mit Marketing-Experten verschiedener Branchen erforscht. Bei der Implementierung des Use-Cases auf Blockchain-Basis für die Bekleidungsbranche wird angeführt, dass es ein Diskussionsprozess sei, ob vollständige Transparenz gewährt werden solle. Die Erfahrungen würden aber zeigen, dass kein kundenseitiges Interesse bestehe (Scherf, 2017f). Ein großes Interesse der Kunden wäre eine Voraussetzung, dass eine solche Anwendung implementiert würde. Zu berücksichtigen seien die hohen Investitionskosten, die die Implementierung einer solchen Technologie nach sich ziehen würde (Scherf, 2017f). Grundsätzlich bewertet der Experte den Nutzen der Nachvollziehbarkeit für Spezialunternehmen mit Nachhaltigkeitsfokus höher. Da dies zumeist kleine Unternehmen seien, wären die Kosten jedoch nicht aufzubringen (Scherf, 2017f). Kritisch wurde zudem hinterfragt, wie Glaubwürdigkeit tatsächlich geschaffen werden könne. Dass kein missbräuchlicher Zugriff auf gespeicherte Daten möglich sei, würde nicht verhindern, dass möglicherweise falsche Daten in die Blockchain gespeichert werden würden. Der Experte betrachtet beispielsweise Zertifizierungen und das „vor Ort sein“ von Mitarbeitern als relevanter, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen (Scherf, 2017f).
Die Expertin aus der Energiebranche brachte eine weitere kritische Perspektive ein: Es sei nicht grundsätzlich mehr Produkttransparenz gefragt, vielmehr sei diese auf einem bestimmten Niveau zu schaffen. Das soll bedeuten, dass die bereitgestellten Informationen dem Konsumenten ein gutes Gefühl über die Herkunft der Produkte vermitteln sollen. Aber nicht jede Information, bspw. über die Person, die ein Produkt herstellt, sei relevant. Sie äußerte ihre Meinung, dass es produktabhängig sei, ob Transparenz und, wenn ja, in welchem Maß diese geschaffen werden solle (Scherf, 2017e).
Für die Lebensmittelbranche wurde vom Experten geäußert, dass vollständige Transparenz über das Produkt das Ziel sei (Scherf, 2017h). Bei der Implementierung und Nutzung eines solchen Use-Cases müssten jedoch der Aufwand sowie der Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Grundsätzlich sieht der Experte die Möglichkeit für den Kunden, volle Transparenz zu bekommen, als vertrauensfördernd. Er stellt jedoch die Hypothese auf, dass die tatsächliche Nutzung einer App oder anderer Informationsquellen eher gering ausfallen wird. Er vermutet, dass auch die Nutzung der bis dato gegebenen Möglichkeiten durch QR-Codes eher gering ausgeprägt ist (Scherf, 2017h). Gefahren oder Probleme, die sich durch die volle Transparenz für sein Unternehmen bzw. die Lebensmittelbranche ergeben, sieht er nicht. Ggf. könnten sich Lieferanten weigern, gewünschte Informationen offenzulegen. Dies könne er aber durch die mangelnde Erfahrung mit einer Anwendung dieser Art nicht bewerten (Scherf, 2017h).
Zuletzt wurde auch für die verantwortungsvoll produzierten Taschen die Bereitschaft des Unternehmens zum Gewähren vollständiger Transparenz erfragt. Diese wurde zu 100% bestätigt (Scherf, 2017i). Gefahren bzw. Probleme sah der Experte dabei möglicherweise dadurch, dass diese Transparenz vom Wettbewerb ausgenutzt werden könnten (Scherf, 2017i).
In conclusio kann festgehalten werden, dass die Bereitschaft aller Unternehmen7 vorhanden ist, ihre Supply-Chain und die Produktgeschichte für den Konsumenten offenzulegen. Dabei sei jedoch für jede Branche individuell zu hinterfragen, ob diese Informationen für den Kunden relevant sind und nachgefragt werden. Im Zuge dessen muss bewertet werden, ob der Aufwand der Implementierung und der Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Ferner müssen Kritikpunkte, wie das Einspeisen möglicherweise falscher Informationen, von Technologieexperten geklärt werden.
Use-Case 2: Object Marketing über einen Digital Twin
Das Konzept „Object Marketing using Digital Twin“ (Stöcker et al., 2017b), das im Innogy Innovation Hub erarbeitet wurde, kann als eine Erweiterung des ersten Use-Cases untersucht werden. Auch hierbei bekommt jedes Produkt, aber auch jeder Service oder jeder Prozess eine individuelle und fälschungssichere Identität. Hinzu kommt, dass jedes Produkt ein digitales Abbild seiner selbst erhält. Dieses Abbild wird als unique Digital Twin (einzigartiger/fälschungssicherer digitaler Zwilling) bezeichnet (Stöcker et al., 2017a). Hierbei wird auf der Blockchain eine digitale Identität, entsprechend der Identität des realen Produktes, erzeugt. Diese digitale Identität wird dann mit allen dem Produkt zugehörigen Daten, die auf der Blockchain abgebildet sind, verknüpft (Stöcker et al., 2017a & b/Scherf, 2017a).
Beim Kauf kann ein Kunde die ID des Produktes erfassen und sich so mit dem Digital Twin des Produktes verknüpfen. Er könnte nun auf Informationen über den gesamten Lebenszyklus des Produktes zugreifen und selbst neue Informationen in Interaktion mit dem Produkt hinzufügen. Der Kunde kann außerdem seinen Besitz in einer dezentralen Datenbank kennzeichnen (Proof of Ownership), über das digitale Abbild Erfahrungen mit dem Produkt festhalten, mögliches Feedback zum Produkt mit Freunden, der Community oder dem Hersteller teilen, kontextbezogene Vouchers und Empfehlungen erhalten, das Produkt vermieten, sofern es gerade nicht benötigt wird, oder das Produkt selbst aktiv an seine Freunde empfehlen, um dafür incentiviert zu werden (beispielsweise mittels Cashback oder besonderen Preisvorteilen) (Stöcker et al., 2017a). Die entsprechenden Werte werden in dem Wallet des Digital Twin hinterlegt. Dieser hat sozusagen ein eigenes Bankkonto mit Gewinn und Verlustrechnung, das unter anderem neue Geschäftsmodelle wie beispielsweise Pay by Use oder Shared Ownership ermöglicht (Stöcker et al., 2017b).
Für Unternehmen bietet der Digital Twin die Möglichkeit, auf das Produkt abgestimmte Service-Angebote, Ersatzteil-Angebote, veränderte Produktinformationen oder weitere passende Angebote an das digitale Abbild des Produktes zu senden und somit eine auf das Produkt, die Bedürfnisse sowie Gewohnheiten des Nutzers abgestimmte Kommunikation sicherzustellen (Stöcker et al., 2017b/Scherf, 2017a). Der Digital Twin stellt somit einen neuen Kommunikationskanal zwischen Unternehmen und Konsumenten dar, in dem beide miteinander interagieren können (Scherf, 2017a/Stöcker et al., 2017a). Ein weiterer denkbarer Vorteil für Unternehmen besteht darin, dass die Informationen, die aus der Interaktion des Kunden mit dem Digital Twin entstehen, direkt in die Produktentwicklungen eingebracht werden können, ohne dabei Sorgen um datenschutzrechtliche Fragestellungen haben zu müssen (Stöcker et al., 2017a). Die Besonderheit dieser Technologie ist, dass die persönlichen Daten des Kunden für das Unternehmen nicht (oder nur nach dessen ausdrücklicher Freigabe) einsehbar sind. Die aus dem Digital Twin entstehenden nutzungsbasierten Daten sind pseudonymisch und können ebenfalls erst nach Freigabe verwendet werden (Scherf, 2017a/Stöcker/Rüther, 2017). Die Kommunikation erfolgt hier demnach nicht direkt mit dem Kunden, sondern stets über das digitale Abbild des Produktes.
Der Vorteil für Konsumenten besteht darin, dass diese nur Werbung erhalten, die auf das Produkt abgestimmt und somit von persönlicher Relevanz ist. Das Problem der „Schreckgestalt ‚Gläserner Kunde’“ (KPMG, 2015) kann mit dem Digital Twin ebenfalls kundenorientiert gelöst werden. Eine direkte Kommunikation und ein direkter Datenaustausch sind nur nach Freigabe durch den Konsumenten selbst möglich (Scherf, 2017a).
Einschätzungen der Marketing-Experten zum Object Marketing über einen Digital Twin
Der zweite Use-Case wurde mit zwei Experten diskutiert. Hierbei muss jedoch unterschieden werden, denn der Experte aus der Luxusgüterbranche gewichtet die Potenziale aus Sicht seines Unternehmens, und die Expertin aus der Energiebranche, die den zweiten Use-Case mitentwickelt hat, vertritt eine allgemeinere Perspektive auf die Potenziale dieser Anwendung.
Ihrer Auffassung nach sei das Object Marketing für Produkte geeignet, die im Kontext angewendet werden, die eine besondere Haltbarkeit und Wertigkeit, einen Unikatscharakter haben sowie ein gewisses Maß an Interaktion benötigen. Ziel sei es dann, den Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus zu begleiten und mit ihm in Kontakt zu treten und zu stehen. Ferner sieht die Expertin insbesondere den Austausch von glaubwürdigen Empfehlungen von Nutzern untereinander im Sinne des Word-of-Mouth-Marketings als eine sinnvolle Möglichkeit. Marketing könnte am Produkt selbst betrieben werden, also dort, wo es einen Einfluss habe. Vorteile, die sich für die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden dadurch ergäben, sieht sie im Ausschalten von Mittelsmännern, das den direkten Kontakt zwischen Unternehmen und Kunden ermögliche. Für den Nutzer eines Produktes und der Digital Twin-App ergäben sich darüber hinaus die Vorteile, interessanten Content und Aktionen zu erhalten sowie für Empfehlungen incentiviert zu werden (Scherf, 2017e).
Der Experte aus der Luxusgüterbranche sieht eine große Relevanz für die Anwendung und äußert sein Interesse. Den Vorteil, den er dabei als wichtig herausstellt ist die Möglichkeit, Kommunikation spezifisch auf das Produkt abgestimmt zu gestalten. Er betrachtet es als interessante Möglichkeit, dem Kunden selbst die Wahl zu überlassen, ob er Informationen über sich für das Unternehmen freigibt oder ob die Interaktion auf anonymer Basis vollzogen wird. Das bedinge ein Umdenken in einem Unternehmen, wie Kommunikation gestaltet werden müsse, da sich durch die Abkehr vom Persönlichen ein eher faktenbasiertes Marketing ergebe. Das wäre für sein Unternehmen eine große Herausforderung, da es einen sehr persönlichen Kontakt zu seinen Kunden pflege. Er sieht daher die Notwendigkeit, in die faktenbasierte, anonyme Kommunikation mit dem Kunden eine persönliche Note einzubringen. Der Schutz des Kunden in seiner Privatsphäre durch die Möglichkeit, anonym zu agieren, hält er für einen großen Vorteil. Auch die Transparenz über die Supply-Chain sowie insbesondere die verifizierte Echtheit der Produkte hält er für eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit (Scherf, 2017g).
Use-Case 3: Blockchainbasierte Werbeplattformen
Der dritte Use-Case befasst sich weniger mit dem Endkunden und den für diesen bereitgestellten Informationen. Vielmehr geht es bei dieser Anwendung um die Effizienzsteigerung der Werbemaßnahmen von Unternehmen.
Unternehmen, die heute digitale Werbeanzeigen schalten möchten, sind auf die großen Werbenetzwerke wie Google oder Facebook angewiesen und müssen diesen ihr Vertrauen schenken (Zenith, 2017). Für Unternehmen besteht jedoch keine Gewissheit darüber, ob die geschalteten Werbeanzeigen tatsächlich auch so angezeigt und von der definierten Zielgruppe geklickt werden, wie es die Dashboards der Netzwerke anzeigen. Die Gefahr der Streuverluste ist vorhanden, denn digitale Werbeanzeigen werden heute häufig durch sogenannte Bots (Roboter) künstlich manipuliert, um den Traffic auf Websites und Werbeanzeigen zu steigern und somit die Kosten für Werbetreibende zu erhöhen (Click-Fraud) (Hein, 2017/Bundesverband Digitale Wirtschaft, 2017). In einem anderen Szenario erscheint die Werbeanzeige möglicherweise in einem negativen Umfeld (neben einer Schreckensmeldung oder bspw. einer politisch inkorrekten oder anrüchigen Meldung), wodurch die Marke möglicherweise einen Imageschaden erleiden oder falsch wahrgenommen werden könnte. Diese beschriebenen Fälle können unter dem Begriff des Ad-Fraud zusammengefasst werden. Besonders stark fällt die Ad-Fraud-Rate bei mobilen Werbeanzeigen aus (Koch, 2017).
Aktuell beschäftigen sich u.a. Unternehmen wie BitTeaser oder Rebel Ai mit blockchainbasierten Werbenetzwerken, die sicherstellen, dass alle Klicks durch menschliche Internetnutzern getätigt werden, die sich als solche mit ihrem Private Key identifizieren, dafür jedoch nicht ihre persönliche Identität preisgeben müssen — Stichwort Datenschutz (BitTeaser, 2017). Somit agieren Personen auch in diesem Anwendungsfall pseudonymisch. Hierbei müssen alle Klicks auf einer Anzeige als eine Transaktion gesehen werden. Erreicht wird die Transparenz dann durch die Funktion der Blockchain-Technologie, also die Verkettung von Klicks und Internet-Nutzern auf der Blockchain, die im Nachhinein nicht mehr manipuliert werden kann (Christidis/Devetsikiotis, 2016). Dadurch kann verhindert werden, dass Roboter die Klickzahlen steigern oder dass Klicks doppelt gezählt werden (Mutschler, 2017). Zur Verhinderung von Ad-Fraud werden alle Contentelemente einer Website verifiziert. Unternehmen, die diese Anwendung nutzen, wissen dadurch, wo, wann und wie die geschalteten Werbeanzeigen im digitalen Umfeld angezeigt werden (Rebel Ai, 2018) (siehe Abbildung 4).
Laut einer Studie der ANA Advertising Financial Management Conference lag der weltweite Verlust für Unternehmen durch Ad-Fraud im Jahr 2016 bei 7,2 Milliarden US-Dollar (ANA/White Ops, 2017). In Deutschland gilt die Ad-Fraud-Rate mit 2,2 % in der ersten Jahreshälfte 2017 im Vergleich zu anderen Ländern als verhältnismäßig gering (Bundesverband Digitale Wirtschaft, 2017).
Bereitschaft zur Nutzung der Blockchain-Technologie im Rahmen digitaler Werbung
Dieser Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie wurde mit drei der fünf Marketing-Experten besprochen. Deutlich wurde dabei, dass alle eine hohe Relevanz dieser Anwendung sehen und den Use-Case für zukunftsorientiert und wichtig halten (Scherf, 2017f,h,i). Diese positive Einschätzung des Use-Cases ergab sich auch bei den Experten, die selbst explizit noch keine negativen Erfahrungen mit Ad-Fraud gemacht haben (Scherf, 2017h). Vorteile ergeben sich aus Sicht der Experten dadurch u.a. im Bereich des Targetings, das durch die Nachvollziehbarkeit der Positionierung einer digitalen Werbeanzeige erleichtert werden würde (Scherf, 2017i).
Zwar gebe es bereits heute Algorithmen, die bestimmte Werbeumfelder — bspw. solche, die ökonomisch nicht sinnvoll sind oder negative Inhalte darstellen — ausschließen würden. Es sei jedoch fraglich, ob diese Positionierung immer gelungen sei (Scherf, 2017f). Die Echtheit von Impressions würde sich insofern positiv auswirken, als Werbeplatzanbieter Zahlungen pro Klick erhalten möchten. Unternehmen hingegen würden Zahlungen nur bei Kaufabschluss bevorzugen. Dies würde einen Widerstreit zwischen Unternehmen und Werbeplatzanbietern darstellen. Es sei eine Machtfrage, welche Zahlungsgrundlage vertraglich vereinbart werde. Die Echtheit von Impressions würde somit auch für kleinere Unternehmen, die in dieser Machtfrage verlieren würden, die Effizienz der Werbeanzeigen sichern (Scherf, 2017f).
Use-Case 4: Das Basic Attention Token
Die Anwendung im Bereich der Online-Werbung (Use-Case 3) wurde im Rahmen der Interviews von den Blockchain-Experten um weitere Aspekte ergänzt. Eine Ergänzung kann durch eine Form der Authentifizierung gegeben werden, also die Art und Weise, wie User sich als tatsächliche Personen identifizieren. Dazu wurde die Idee eingebracht, dass User Nano- oder Micropayments durchführen — ähnlich wie dies bereits bei dem nicht blockchainbasierten Service Flattr der Fall ist –, um sich als echte Person zu authentifizieren. Durch diese Payments würden den Usern dann Services oder Content bereitgestellt werden. Für Maschinen — so die Experten — sei die Durchführung solcher Transaktionen unwirtschaftlich, und somit würde Ad-Fraud durch Roboter ggf. verhindert werden (Scherf, 2017b). Fraglich ist hierbei jedoch, inwieweit User bereit wären, Geld für digitalen Content zu entrichten, der heute kostenfrei zur Verfügung steht.
Eine gänzlich andere Vorgehensweise wurde durch das Basic Attention Token (BAT) eingebracht. Dieses BAT setzt an den vom entwickelnden Unternehmen als existent bezeichneten Problemfeldern der Online-Werbeindustrie an. User fühlen sich demnach von — teilweise unpassenden — Werbeanzeigen sowie dem Problem des Malvertising(Li/Clark, 2015) gestört, sehen sich durch die ständige Generierung von Daten in ihrer Privatsphäre verletzt und bezahlen für das Laden — teilweise unerwünschter — mobiler Werbeanzeigen u.a. wegen des verbrauchten Datenvolumens und der Verwendung der Akkukapazität (Basic Attention Token, 2017, S. 5ff). Um dies zu vermeiden, nutzen User immer häufiger Ad-Blocker. Traditionelle Publisher, also diejenigen, die Werbeplatz auf Websites anbieten, sehen sich mit 66% (Basic Attention Token, 2017, S. 1) Einnahmeeinbußen konfrontiert. Das liegt zum einen daran, dass der Markt für Online-Werbung hauptsächlich von den großen Anbietern wie Google und Facebook beherrscht wird, zum anderen, weil die von Usern installierten Ad-Blocker dafür sorgen, dass die Zahlen der Ansichten digitaler Werbungen sinken. Werbetreibende leiden, wie bereits in Use-Case 3 beschrieben, unter Problemen wie Ad-Fraud und einer geringen Effizienz ihrer Werbemaßnahmen, da auch hier durch die Aktivierung von Ad-Blockern das Targeting erschwert ist (Basic Attention Token, 2017, S. 1ff). Somit kann hier von einer negativen Verkettung gesprochen werden, die sich wiederum negativ auf alle drei Akteure auswirkt.
Das BAT stellt ein Monetarisierungssystem für den dezentralen Austausch von digitaler Werbung dar, der in das Brave implementiert ist. Brave kann mit einem Browser wie Firefox oder Chrome verglichen werden, bei dem Werbung, ähnlich wie nach der Aktivierung eines Ad-Blockers, nicht angezeigt wird. Die Idee besteht darin, den User monetär zu entlohnen, wenn er sich eine Werbeanzeige ansieht. Die Entlohnung erfolgt durch die Zahlung der beschriebenen Tokens, die dann als digitale Münzen beispielsweise für „premium content or services“ (Basic Attention Token, o.J.) im Browser eingesetzt oder an einer Krytowährungs-Börse gehandelt werden können (Scherf, 2017d/ Basic Attention Token, o.J.) (siehe Abbildung 5).
Die Werbetreibenden profitieren durch eine Effizienzsteigerung ihrer Werbung, da Ad-Fraud verhindert, ein höherer ROI erreicht, besseres Targeting ermöglicht und zudem Transparenz über ihre Werbeausgaben geschaffen wird (Basic Attention Token, 2017, S. 27ff).
User profitieren dadurch, dass sie monetäre Zahlungen (Tokens) für ihre Aufmerksamkeit auf eine Werbeanzeige erhalten. Ferner ergibt sich für den User der Vorteil, dass die für ihn bereitgestellten Werbeanzeigen seinen Interessen angepasst und unpassende Werbung verhindert wird. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Daten über den User — wie auf einer Einbahnstraße — den Browser nicht verlassen. Somit ist hier ein weiterer Lösungsansatz entwickelt worden, der sich dem Problem des Datenschutzes und der Privatsphäre kundenbezogener Daten annimmt (Basic Attention Token, o.J.). Zudem werden praktische Probleme der Nutzer durch das BAT gelöst: weniger Daten- und Energieverbrauch, da die Werbeanzeigen zunächst blockiert sind (Basic Attention Token, 2017). Durch das Ausschalten der großen Werbenetzwerke als Intermediäre und den direkten, dezentralen Austausch zwischen User, Publisher und Advertiser, sollen die Kosten für Advertiser reduziert werden. Zudem werden die Publisher, ebenfalls in Form von BAT, für die Aufmerksamkeit der User entlohnt (Basic Attention Token, 2017, S. 1, S. 16ff). Die Tokens werden zwischen Werbetreibenden, Publishern und Usern auf Basis der Ethereum Blockchain ausgetauscht (Basic Attention Token, o.J.).
Die Darstellung verdeutlicht, dass das Konzept des BAT die vorab beschriebene negative Verkettung in eine positive Verkettung umwandeln könnte, da die Privatsphäre der User geschützt, die Bezahlung der Publisher sichergestellt und die Effizienz der digitalen Werbung für Werbetreibende gesteigert wird. Prof. Dr. Philipp Sandner vom Blockchain Center der Frankfurt School sieht eine hohe Relevanz des BAT, da sich damit die Art und Weise, wie Aufmerksamkeit der User generiert wird, verändert (Scherf, 2017d).9
Die folgende Tabelle 2 bietet ein umfassendes Bild aller bearbeiteten Use-Cases:
Potenziale, Bedingungen und Hürden der Blockchain-Technologie im Marketing aus Sicht der Experten
Die Ergebnisse aus Interviewphase I zeigen, dass die Experten die Blockchain-Technologie als eine disruptive Technologie betrachten, die fördert, dass Akteure anfangen, Dinge neu zu denken (Scherf, 2017b,d). Folgend sollen Potenziale, Bedingungen und Hürden der Technologie im Marketing aus Sicht der Blockchain-Experten dargestellt werden.
Potenziale
Grundsätzlich sehen die Experten die Rolle der Blockchain-Technologie für das Marketing in der digitalen Experience (siehe Abbildung 6), in der Schaffung von Vertrauen im Marketing und einem — daraus resultierend — wachsenden Brand Value (Scherf, 2017a). Außerdem schafft sie neue Möglichkeiten der Interaktion und Kommunikation zwischen Unternehmen und Konsumenten (Scherf, 2017c). Die Nutzung der Blockchain-Technologie für das Marketing von Unternehmen erfolgt dabei zumeist indirekt, was bedeutet, dass die durch das Tracking gewonnenen Informationen für das Marketing bereitgestellt werden.
Die Experten sind sich aber zum Teil uneinig, wann die Technologie für das Marketing im Massenmarkt tatsächlich genutzt wird bzw. werden kann. Optimistische Prognosen liegen zwischen 18 Monaten und drei bis fünf Jahren, andere Experten konnten keine Zeiteinschätzung geben (Scherf, 2017a,c,d). Zwei Experten befürchten sogar, dass der Hype um die Technologie enden wird, sofern sie sich mit ihrem Mehrwert nicht zeitnah etablieren kann (Scherf, 2017b).
Bedingungen und Hürden
Als Bedingungen, die Unternehmen zur Implementierung und Nutzung der Blockchain-Technologie im Marketing erfüllen müssten, nannten alle Experten — insbesondere durch die Neuartigkeit der Technologie — die Aspekte Know-How und Kennenlernen der Technologie, bspw. durch Workshops oder andere Formen „organisatorische[n] Enablement[s]“ (Scherf, 2017a,b,d). Dieser Bildungsaspekt sei dabei sowohl Unternehmens- als auch IT-seitig notwendig (Schref, 2017b). Philippe Rixhon jedoch führt an, dass aktuell noch Unwissenheit darüber bestünde, welches Know-How tatsächlich benötigt werde (Scherf, 2017c). Begründet werden könnte dies mit der Ist-Situation, dass die tatsächlichen Grenzen der Technologie heute noch nicht umfassend bekannt sind (Scherf, 2017c). Als weitere Bedingung wurde ferner die Bereitstellung und Allokation des notwendigen Budgets angeführt (Scherf, 2017a,b,d). Wie groß das notwendige Budget sein müsse, sei zum aktuellen Zeitpunkt vielfach noch unklar. Ein Feldtest des zweiten Use-Cases bspw. sei für 100.000 bis 200.000 Euro realisierbar und somit für Konzerne, auch im Hinblick auf das Learning, das ein solches Projekt bringen würde, finanziell tragbar. Jedoch seien die zukünftigen Betriebs- und Transaktionskosten, die heute durch die teilweise mangelnde Skalierungsfähigkeit sehr hoch ausfallen, noch nicht einschätzbar (Scherf, 2107a). Als weiteren Aspekt nannte Prof. Dr. Philipp Sandner, dass der Rückhalt des Senior Managements notwendig sei, damit die Technologie erfolgreich implementiert werden könne (Scherf, 2017d).
Ein weiterer relevanter Aspekt, der bei der Implementierung außerdem zu beachten sei, liege in der Offenheit und dem Willen der Unternehmen. Diese Offenheit, aber auch die Flexibilität von Unternehmen stellen die Experten aktuell noch kritisch infrage. Zwar bestehe auf Unternehmensseite ein Interesse an der Technologie und ihren Anwendungsmöglichkeiten, jedoch stelle die tatsächliche Umsetzung Schwierigkeiten und Widerstand dar (Scherf, 2017b,d). Dies könne zum einen in der Skepsis gegenüber der Technologie begründet liegen, die durch die anfängliche negative Berichterstattung über die Blockchain geschürt wurde, aber auch in der Angst vor Veränderung (Scherf, 2017c), einer mangelnden Risikobereitschaft (Scherf, 2017b) dem hohen Zeitaufwand sowie dem großen Umfang an notwendigem Change-Management (Scherf, 2017d).
Unternehmen befinden sich nach Meinung der Experten in unterschiedlichen Phasen (Scherf, 2017b,d). Notwendig sei es daher, einen Vorzeige-Case umzusetzen, der den Unternehmen die Möglichkeiten aufzeigt, die sich durch die Nutzung der Technologie für sie ergäben (Scherf, 2017b).
Die technologischen Bedingungen (siehe Abbildung 7) erkennen die Experten in der Anpassung der digitalen Infrastruktur, der Bereitstellung ausreichender Computer-Power und der Verfügbarkeit technologischer Ressourcen. Diese Aspekte sind für die Experten jedoch keine großen Hürden, da durch ein Retro-Fitting — also die Implementierung der Technologie in ein bestehendes System — die Umsetzung verhältnismäßig einfach durchzuführen sei (Scherf, 2017a,b,c,d).
Die Hürden (siehe Abbildung 7) sehen die Experten zunächst aber in der Verlangsamung der Prozesse (Scherf, 2017b), dem Unwissen über den Einfluss der Anwendungen auf bestehende Geschäftsmodelle (Scherf, 2017c), der bis dato fehlenden Regulatorik der Technologie sowie der Ausbildung bzw. Bereitstellung qualifizierten Personals (Scherf, 2017d).
Geeignete Branchen für die Nutzung der Technologie im Marketing
Bei der Betrachtung der Branchen, für die die Blockchain-Technologie im Marketing relevant sein könnten, wird deutlich, dass die Experten dort ähnliche Sichtweisen vertreten. Demnach sei die Technologie an sich grundsätzlich für alle Branchen relevant. Durch den aktuellen Hype, den die Technologie verursacht, sei es Unternehmen jeder Branche anzuraten, sich mit der Technologie und ihren Anwendungsmöglichkeiten frühzeitig auseinanderzusetzen (Scherf, 2017d,a). Abgesehen von den konkreten Anwendungsfällen sei es insbesondere für alle die Bereiche sinnvoll, in denen Zahlungsprozesse stattfinden (Scherf, 2017d). Die Adaption der Bezahlung mit Kryptowährungen wird dabei von einem Experten als der erste Case betrachtet, der zukünftig realisiert wird (Scherf, 2017b).
Für das Thema Tracking und die Nachverfolgung der Supply-Chain (Use-Cases 1 und 2) betrachten die Experten insbesondere Branchen mit komplexen Supply-Chains, wie bspw. die Automobilindustrie, für geeignet. Die Experten benannten diese Anwendungen aber auch als relevant für die Pharma-, die Lebensmittel-, die Bekleidungs- und die Luxusgüterbranche, um die Herkunft und Authentizität von Produkten nachvollziehbar zu machen (Scherf, 2017a,b,c,d). Generalisiert werden könnten diese als Branchen, die für den Konsumenten (sensible) Produkte bereitstellen (Scherf, 2017a), Branchen, in denen die Herkunft und Authentizität von Produkten wichtig ist (Scherf, 2017d) und jene, die mit Fälschungsproblematiken und Skandalen zu kämpfen haben (Scherf, 2017b).
Dr. Carsten Stöcker führte darüber hinaus an, dass bei der Identifizierung relevanter Branchen stets bewertet werden müsse, ob durch die Implementierung und Nutzung der Technologie ein Mehrwert für den Kunden entstehe. Seiner Auffassung nach sei es sinnvoller, die Selektion nicht nach Branchen, sondern nach geographischen Märkten durchzuführen. In China sei bspw. die Scan-Rate von QR-Codes — u.a. durch das Problem der dortigen Produktpiraterie — wesentlich höher, als in westlichen Märkten. Demnach sei die Adaption einer solchen Technologie dort schneller und höher (Scherf, 2017a).
Diskussion und kritische Würdigung
Die Darstellung der Expertenmeinungen zu den diskutierten Use-Cases zeigt deutlich, dass sowohl aus Sicht der Blockchain-Experten, als auch aus Marketing-Perspektive die Blockchain-Technologie für verschiedene Bereiche des Marketings relevant sein und potenzielle Lösungen für verschiedene identifizierte Herausforderungen und Probleme im Marketing bieten kann. Die Auswertung stellt jedoch auch heraus, dass die Relevanz entsprechender Anwendungen branchenspezifisch, unternehmensspezifisch bzw. produktspezifisch differenziert betrachtet werden muss.
F1: Welche Einflusspotenziale hat die Nutzung der Technologie auf Marketing und Kommunikation?
Die Anwendungsbeispiele haben exemplarisch gezeigt, dass die Blockchain im Marketing insbesondere unter einem Aspekt relevant ist: Transparenz. Diese Transparenz, die sich aus der Funktion der Technologie ergibt, kann für jede Art von Datentransaktion geschaffen werden. Dadurch erklärt sich auch der Begriff „The trust machine“ (The Economist, 2015), den das Magazin The Economist der Blockchain zugeschrieben hat. Für Unternehmen wäre die Transparenz über Transaktionen immer dann von Relevanz, wenn dadurch Prozesse optimiert und effizienter gestaltet werden können, wie es beispielsweise durch die verifizierte Echtheit von Impressions möglich ist. Somit scheint der Effekt, den die Blockchain u.a. auf die Online-Werbeindustrie haben kann, enorm zu sein. Dies spiegelt auch die Einschätzungen der Marketingexperten wider, die insbesondere diesen Anwendungsbereich so bewerten, dass in ihm die erste Disruption stattfinden wird.
Doch auch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Konsument und Unternehmen ist der Transparenzaspekt ein wichtiger, was sich auch darin zeigt, dass mehr und mehr Unternehmen Projekte realisieren mit dem Ziel, diese Transparenz über die Supply-Chain, aber auch andere Unternehmensaktivitäten für den Kunden zu schaffen. Durch diese Nachvollziehbarkeit werden aus Behauptungen Fakten — Fakten, die jederzeit von einem Kunden überprüft werden können, und Fakten, die sich positiv auf die Zufriedenheit sowie das Vertrauen eines Konsumenten und damit ebenfalls positiv auf die Beziehung zwischen Konsument und Unternehmen auswirken können. Diese Informationen können — neben der Herstellungsgeschichte und Authentizität von Produkten — alle weiteren Datentransaktionen abdecken, wie beispielsweise die Verifizierung von Spenden eines Unternehmens für ein soziales Projekt oder die tatsächliche Anzahl weiblicher Arbeitnehmer in einem Unternehmen. Durch die transparente Bereitstellung und auch die Visualisierung dieser Informationen, bspw. in Form einer mobilen Applikation, wird es dem Konsumenten ermöglicht, das Unternehmen bzw. eine Marke auf eine ganz neue Art und Weise zu erleben, wodurch eine neue Form der Digital Experience geschaffen wird. Somit kann die Technologie — dieser Betrachtung zufolge — zum einen der Herausforderung Markenerlebnis gerecht werden, zum anderen einen positiven Beitrag zur Beziehung zwischen Unternehmen und Konsumenten auf der Basis von Vertrauen leisten.
Dennoch muss die Realisierbarkeit einer transparenzschaffenden Anwendung unter drei Gesichtspunkten kritisch reflektiert werden: Einerseits bestätigen die Experten aus Interviewphase II den Ansatz der Bounded Rationality, wonach sie größtenteils nicht der Auffassung sind, dass — zumindest auf das Produkt bezogene — Informationen von den Kunden tatsächlich eingeholt und entsprechend auch nicht in ihre Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Dabei könnte — begründet in der Unbekanntheit der Technologie — möglicherweise ausschlaggebend sein, dass den Konsumenten die durch die Technologie sichergestellte Authentizität der Informationen nicht bewusst ist, wodurch Anwendungen dieser Art als weitere, nicht vertrauenswürdige Werbemaßnahmen wahrgenommen und entsprechend negativ bewertet werden könnten.
Dies führt zu einem zweiten kritischen Aspekt: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Relevanz und potenzielle Realisierung dieser Anwendung branchenspezifisch unterschiedlich bewertet wurden. Vollständige Transparenz sei aus Sicht der Marketing-Experten nur bei bestimmten Produkten gefragt. Der Grund dafür liege in der Nähe, die ein Produkt zum Kunden habe. Folglich könnte die Implementierung einer entsprechenden Blockchain-Anwendung nur für bestimmte Branchen von Relevanz sein. Im Hinblick auf die Crossing the Chasm Theory wäre es denkbar, zunächst eine Implementierung und Nutzung der Blockchain-Technologie einer solche Anwendung in der Lebensmittelbranche oder aber einer nachhaltig orientierten Branche, in denen die Anwendung als nützlich und relevant bewertet wurde, als Nischenmärkte zu realisieren, um darüber den Sprung in mögliche andere Branchen und Märkte zu vollziehen.
Als letzter, kritischer Aspekt ist bei einer entsprechenden Anwendung anzuführen, dass die vollumfängliche Transparenz die Machtposition von Unternehmen schmälern würde, da diese Macht auf den Konsumenten übertragen und somit die Möglichkeit zur Kontrolle — nach Kant ein Resultat von Transparenz — gegeben würde. Ob also eine tatsächliche Umsetzung einer transparenzschaffenden Anwendung bspw. in großen Konzernen somit realisiert wird, ist fraglich. Neben der Branche könnten hier also auch die Charakteristika von Unternehmen — Konzerne, mittelständische Unternehmen oder bspw. Start-Ups — sowie möglicherweise auch soziodemographische Charakteristika der Zielgruppe ausschlaggebend sein.
Der zweite Bereich, für den die Blockchain-Technologie im Marketing zukünftig viele Potenziale bereithält, ist das Thema Daten. Bei der Recherche zu relevanten Entwicklungen im Marketing wurde deutlich, dass Daten über Personen, ihr Verhalten, ihre Interessen u.v.m. für Unternehmen von enormer Relevanz sind, um ihre marktorientierten Aktivitäten darauf anpassen zu können, um Angebote zu individualisieren und um zu erkennen, was der Kunde wirklich möchte. Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch die Angst der Konsumenten zu bewerten, dass Unternehmen in ihre Privatsphäre eingreifen könnten. Durch die Besonderheit der Blockchain-Technologie, dass Personen die Möglichkeit haben, anonymisiert zu agieren, und selbst die Kontrolle und den Besitz über ihre persönlichen Daten haben, kann die Technologie einen positiven Einfluss auf das Privatsphäreproblem nehmen. Jedoch stellt diese Kontrolle der Konsumenten Unternehmen vor neue Herausforderungen: Es muss ihnen gelingen, dem Kunden einen derartigen Mehrwert, eine außergewöhnliche digital Experience zu bieten, dass der Kunde bereit ist, seine Daten mit dem Unternehmen zu teilen. Solche Überzeugungsstrategien stellen möglicherweise die in Use-Case 2 vorgestellten Incentivierungsmaßnahmen vor, durch die ein Kunde bspw. Rabatt bei einem Unternehmen erhält, sofern er bereit ist, seine Daten oder Teile dieser Daten freizugeben. Ein weiterer bedeutender Vorteil für Unternehmen in der Nutzung der Blockchain-Technologie liegt in der verifizierten Herkunft und Nachvollziehbarkeit von Daten sowie dem Schutz von Manipulation und feindlichen Angriffen. Es wird deutlich, dass sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Konsumentenseite Vorteile entstehen, die Implementierung dieser neuen Technologie in die Kultur eines Unternehmens jedoch auch ein striktes Umdenken der Akteure erforderlich macht.
Die Verknüpfung eines Objekts bzw. IoT-Devices (wie bspw. über einen Digital Twin) mit der Blockchain schafft zahlreiche weitere Einflusspotenziale für das Marketing von Unternehmen. Es könnte u.a. ein Kommunikationskanal zwischen Unternehmen und Konsumenten oder Konsumenten untereinander — auf Wunsch anonymisiert — entstehen und somit eine Community geschaffen werden, in dem Datenschutzbedenken keine Grundlage haben. In dieser Community könnte der Konsument selbst zum Mitgestalter des Marketings werden, wobei die Stärke der Einflussnahme eines Konsumenten von den Marketingexperten unterschiedlich bewertet wurde. Auch könnten Unternehmen Loyalitäts- bzw. Kundenbindungsprogramme realisieren, bei denen ihre Kunden direkt online Punkte für Empfehlungen, Einkäufe u.v.m. sammeln, die in der Blockchain abgebildet werden, ohne dass dafür ein Unternehmen wie Payback benötig würde.
Die Möglichkeiten, die sich durch die Verknüpfung zwischen der physischen und der digitalen Welt ergeben, können jedoch noch weitergedacht werden: Mittels einer entsprechenden dezentralisierten Plattform können auf unkomplizierte Weise Sharing Economy Märkte entstehen, und zwar, ohne dass wie bisher eine Third Authority of Trust benötigt würde. Beispielsweise könnte ein Konsument, der Eigentümer eines Autos ist, es jedoch aktuell nicht benötigt, dieses auf der dezentralen Sharing Economy Plattform für andere zur Nutzung bereitstellen. Die Bedingungen der Nutzung können hierbei in Smart Contracts vereinbart werden. Dieser Contract autorisiert einen Unbekannten zur Nutzung des Fahrzeuges. Sind die in dem Smart Contract hinterlegten Bedingungen nach der Nutzung erfüllt, erhält der Fahrzeugbesitzer den vereinbarten Betrag über die Plattform direkt P2P — ohne, dass eine Bank dazwischengeschaltet ist. Auch könnte ein solcher Smart Contract realisieren, dass jede Person seine eigene Versicherung mitbringt, die bei der Nutzung des Fahrzeuges in Kraft tritt. Somit würde sich das Konsumverhalten durch die Blockchain-Technologie möglicherweise positiv hin zu einer Sharing Economy verändern. Ferner bietet die Verknüpfung eines realen Objektes mit einem Digital Twin auf der Blockchain die Möglichkeit, physische Produkte on-demand um digitale Service oder herkömmliche Dienstleistungen zu erweitern. Im Hinblick auf die Customer Centricity wäre dies ein enormer Fortschritt, der jedem Kunden individuelle, kundenbindungsorientierte Services zur Verfügung stellen könnte. An diese neuen Möglichkeiten sind für Unternehmen jedoch bestimmte Bedingungen geknüpft. Sie müssen ihre Produkte zukünftig mit digitalen Features so entwickeln und ausstatten, dass diese dem neuen, digitalen Lifestyle der Konsumenten gerecht werden und on-demand-Services für eine Vielzahl von Produkten möglich werden.
Zuletzt schafft die Blockchain für ein Unternehmen immer dann einen Vorteil, wenn Marketingprozesse durch das Ausschalten von Intermediären effizienter gestaltet werden könnten. Durch die Ermöglichung von P2P-Transaktionen würden Unternehmen von geringeren Transaktionskosten profitieren, sowie insbesondere dadurch, dass innerhalb des Netzwerkes keine Transparenzlücken entstünden. Durch eine Abkehr von alten zu neuen Systemen würde eine neue Form von Wirtschaft geschaffen werden. Ein gutes Beispiel dafür könnte die Plattform OpenBazaar sein, die das blockchainbasierte Pendant zu Amazon darstellt. Dabei fungiert diese Plattform jedoch nicht als Intermediär, sondern bietet für Konsumenten und Unternehmen als dezentral organisierte Open-Source Software vielmehr nur den technischen Rahmen, ihre Transaktionen untereinander P2P durchzuführen, und zwar ohne Transaktionskosten oder Gebühren sowie das Speichern von Nutzerdaten. Bezahlungen werden auf dieser Plattform in Form von Bitcoins getätigt (OpenBazaar, o.J).
Zusammengefasst schafft die Blockchain-Technologie im Marketing somit immer dann ein Einflusspotenzial, wenn Transparenz und Authentizität von Informationen gefragt sind, wenn Daten sicher erhoben werden sollen, wenn dem Kunden die Möglichkeit zur Anonymität geboten werden soll, wenn Prozesse zwischen der physischen und digitalen Welt ermöglicht werden sollen und das Ausschalten von Intermediären sinnvoll erscheint. Die Entscheidung, auf welche Prozesse diese Potenziale angewandt werden, müsste dann von jedem Unternehmen individuell getroffen werden.
Bei der Betrachtung wird deutlich, dass die Blockchain-Technologie zur Lösung einiger in der theoretischen Ausarbeitung identifizierten Herausforderungen und Probleme dienen könnte. Nichtsdestotrotz sind auch mögliche Probleme und Hürden, die sich durch die Verwendung der Technologie ergeben könnten, nicht zu missachten.
F2: Wie können Unternehmen die Technologie als Wettbewerbsvorteil nutzen?
Aus den beschriebenen Einflusspotenzialen der Blockchain-Technologie für das Marketing ergeben sich verschiedene Arten von Wettbewerbsvorteilen, die sowohl immaterieller als auch finanzieller Ausprägung sein können. Als relevantester Wettbewerbsvorteil kann hier der Aspekt Vertrauen angeführt werden, der sich u.a. aus der Transparenz und Authentizität von Informationen sowie dem Aspekt der Privatsphäre ergibt, ferner jedoch auch dadurch, dass die Schaffung von Transparenz über jegliche Art von Informationen ein Instrument zur Signalisierung von Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens darstellt. Grundsätzlich liegt der Nutzen einer transparenzschaffenden Anwendung, wie sie in Use-Case 1 und 2 beschrieben wurde, den Experten zufolge beim Nutzer bzw. Konsumenten. Daher ist ein Verständnis dafür zu entwickeln, welchen ökonomischen Nutzen die Anwendung auch für ein Unternehmen haben könnte (Scherf, 2017i). Die Individualisierung und Personalisierung von Angeboten und Botschaften, die an den Konsumenten gerichtet sind, können — durch ihre potenziell größere Relevanz — ebenfalls einen finanziellen Vorteil schaffen.
Direkte finanzielle Wettbewerbsvorteile ergeben sich durch die Optimierung von Prozessen und die effizientere Einsetzungen des Etats — wie bspw. in Use-Case 3 beschrieben. Ferner ergibt sich die Chance zur Effizienzsteigerung durch das Ausschalten von Intermediären, wodurch Transaktionskosten und Gebühren ausblieben. Die Generierung von Daten aus neu geschaffenen Datenquellen zwischen physischen Objekten und der digitalen Welt sowie die technologisch bedingte Sicherheit über die Herkunft der Daten, können sich ebenfalls finanziell positiv für Unternehmen auswirken.
Kritisch ist im Hinblick auf finanzielle Vorteile jedoch zu bedenken, dass die Implementierung der Blockchain-Technologie — unabhängig von der konkreten Anwendung — ggf. mit hohen Kosten für Unternehmen verbunden sein kann. Somit wäre hier individuell zu berechnen, ob Kosten und Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stünden.
F3: Welche Optionen bietet die Blockchain-Technologie für das Marketing von Unternehmen?
Auf Basis dieser Diskussion können nun abschließend die folgenden Thesen zur Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellung formuliert werden, die die Optionen beschreiben, die sich durch die Blockchain-Technologie für das Marketing von Unternehmen ergeben:
- Die Blockchain-Technologie schafft für Unternehmen die Möglichkeit, die Authentizität von Informationen für den Kunden transparent zu gestalten. Die Relevanz dessen ist individuell für Branchen, Unternehmen und Produkte zu bewerten, kann jedoch insbesondere auf Nachhaltigkeitskriterien einen positiven Einfluss nehmen.
- Die Blockchain-Technologie ist potenziell dazu imstande, die Angst der Konsumenten vor Eingriffen in ihre Privatsphäre zu minimieren, da diese die Selbstbestimmtheit über ihre Daten zurückerlangen und somit über die absolute Kontrolle ihrer jeweiligen Daten verfügen.
- Die Blockchain-Technologie bietet Unternehmen die Möglichkeit, durch die Echtheit von Transaktionen sowie das Ausschalten von Ad-Blockern durch Monetarisierungssysteme, Werbemaßnahmen effizienter zu gestalten.
- Die Blockchain-Technologie schafft eine Verbindung zwischen der physischen sowie der digitalen Welt, da Objekte und IoT-Devices digital verknüpft werden können. Dadurch können Intermediäre ausgeschaltet und Prozesse effizienter und sicherer gestaltet werden.
- Für Unternehmen scheint die Blockchain-Technologie vordergründig dann relevant zu sein, wenn durch die Implementierung und Nutzung direkte finanzielle Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Immaterielle Wettbewerbsvorteile sind auf ihre ökonomischen Vorteile hin zu bewerten.
- In der fortschreitenden Digitalisierung ist die Blockchain-Technologie von Unternehmen zu berücksichtigen, um bestehende Geschäftsmodelle frühzeitig anzupassen bzw. neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Nichtsdestotrotz ist ein abschließendes Statement eines Experten anzuführen, das ernstzunehmende Herausforderungen bei der Implementierung der Blockchain-Technologie in Unternehmen aufzeigt: Ein geringes technologisches Verständnis, mangelndes Wissen sowie Negativschlagzeilen über die Technologie würden Skepsis und Zurückhaltung der Unternehmen fördern (Scherf, 2017g). Diese Sorgen müssen Akteuren zukünftig genommen werden.
Fazit, Handlungsempfehlungen und Ausblick
In diesem Paper wurde die Blockchain-Technologie, deren Nutzung sich bis dato zumeist auf finanzielle Anwendungen — rund um digitale Kryptowährungen — bezieht, auf ihre Potenziale für das Marketing von Unternehmen untersucht. Dabei wurde deutlich, dass die Technologie einige in der theoretischen Ausarbeitung definierte Herausforderungen und Probleme im Marketing — Vertrauen, Nachhaltigkeit, Customer Experience und Angst vor Eingriffen in die Privatsphäre seien hier nur beispielhaft genannt — lösen könnte. Die Anwendungen der Blockchain-Technologie können dabei gänzlich unterschiedliche Bereiche des Marketings abdecken. Sie sind jedoch immer dann von Relevanz, wenn Transparenz und Authentizität von Informationen gefragt ist, Kunden die Möglichkeit zur Anonymität geboten werden soll, Individualisierung und Personalisierung der Kundenansprache gewünscht ist oder Prozesse im Marketing durch das Ausschalten von Mittelsmännern in ihrer Effizienz gesteigert werden können.
Bedingt durch die Neuartigkeit der Technologie wurden bis heute lediglich vereinzelte Anwendungskonzepte real umgesetzt, die teilweise durch die vier hier beschriebenen Use-Cases abgedeckt werden. Es ist davon auszugehen, dass zukünftig eine Vielzahl weiterer Anwendungen — die direkt oder möglicherweise indirekt auch im Bereich des Marketings eingesetzt werden können — entwickelt werden. Die Befragung von Marketing-Experten verschiedener Branchen hat verdeutlicht, dass die Bereitschaft zur Implementierung und Nutzung der Technologie im Marketing auf Unternehmensseite grundsätzlich vorhanden ist. Nichtsdestotrotz ist von jedem Unternehmen individuell zu bewerten, welche konkreten Vorteile daraus entstehen, ob entsprechende Neuerungen von der Zielgruppe gefordert werden, ob die Vorteile auch für das angebotene Produkt relevant sind, und im Zuge dessen, ob Kosten und Nutzen der Anwendung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Um auf die eingangs erwähnte Fragestellung einzugehen, ob die Blockchain-Technologie „the next big thing“ (Jobs, o.J., zitiert nach Elliott, 2012) für das Marketing von Unternehmen sein wird, ist eine definitive Antwort derzeit nicht möglich. Aktuell erlebt die Technologie einen enormen Hype, der zum einen daraus resultiert, dass auf Technologie- als auch auf Unternehmensseite erste Feldstudien, Pilotprojekte und teilweise kleine Realprojekte umgesetzt werden. Zum anderen entsteht der aktuelle Hype auch aus den aktuellen Geschehnissen auf dem Kryptowährungsmarkt, auf dem Kryptowährungen von einigen Akteuren als Instrumente zu Finanzspekulationen entdeckt wurden. Dieser Umstand führt aktuell zu angeregten Diskussionen und — insbesondere von öffentlichen Akteuren — zu Forderungen nach stärkeren Kontrollen und Regulatorien für diesen Markt.
Die Ergebnisse der empirischen Erhebung verdeutlichen, dass einzelne Experten sich über den Erfolg oder Misserfolg bzw. über die Durchsetzung der Technologie für das Marketing im Massenmarkt ungewiss sind. Der Großteil der Experten ist jedoch optimistisch. Ein Experte sieht gar eine weitere Revolution, die sich der digitalen Revolution anschließen wird — nämlich die Blockchain-Revolution (Scherf, 2017g).
Insbesondere im Hinblick auf die zukünftige Verbreitung der Industrie 4.0, die eine Automatisierung von Prozessen und besonders die Vernetzung von Maschinen untereinander anstrebt, scheinen die vorgestellten Anwendungen zukünftig von Relevanz zu sein (BMWI, o.J.). Die Vernetzung von Maschinen würde es bspw. ermöglichen, die in Use-Case 1 und 2 beschriebene Nachvollziehbarkeit der Supply-Chain einfacher zu realisieren. Automatisierte Prozesse und Maschinen, die untereinander kommunizieren, würden die Generierung eines „digital ‚Handshake’“ (Project Provenance Ltd., 2017b) folglich automatisch und ohne großen Aufwand realisierbar machen. Ein möglicher, menschlich verursachter Fehler oder eine Manipulation, die die Vertrauenswürdigkeit der Informationen anzweifeln lassen könnte, wäre damit potenziell auszuschließen. Darauf aufbauend kann ein zweiter zukunftsorientierter Aspekt in die Betrachtung einbezogen werden. Experten setzen sich immer häufiger mit der Frage auseinander, ob auch das Marketing der Zukunft Sache von Robotern, insbesondere künstlicher Intelligenz ist. Im Hinblick darauf könnten die Daten auf der Blockchain dazu genutzt werden, diese künstliche Intelligenz zu füttern und somit einen technologischen Fortschritt zu fördern.
Die Sicherheit vor Manipulationen, die die Blockchain-Technologie verspricht, muss jedoch unter der Berücksichtigung einer technologischen Innovation, die möglicherweise in nicht mehr allzu weiter Zukunft liegt, kritisch hinterfragt werden: Quantum Computing. Es ist ungewiss, ob diese neuen „Super-Rechner“ (Caracciolo, 2017) die Sicherheit der Technologie möglichweise beeinträchtigen könnten.
Remarks
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Über die Autoren
Jessica Scherf, M.A. Sustainable Marketing & Leadership-Absolventin der Hochschule Fresenius, University of Applied Sciences, ist per LinkedIn zu erreichen (www.linkedin.com/in/jessica-scherf-66bab3129/).
Prof. Dr. Lutz Becker ist Studiendekan Sustainable Marketing & Leadership und Leiter der Business School für Wirtschaft & Bedien an der Hochschule Fresenius in Köln — er ist per E-Mail zu erreichen (lutz.becker@hs-fresenius.de) und per LinkedIn (www.linkedin.com/in/lutz-becker-inscala/).
Fußnoten
1 Die Marketing-Experten und die zugehörigen Unternehmen werden in diesem Paper anonymisiert. Sie repräsentieren die Lebensmittel-, Luxusgüter-, Bekleidungssbranche, die Taschenindustrie sowie die Energiewirtschaft.
2 Es wird in diesem Paper keine Differenzierung zwischen Kunde und Konsument vorgenommen. Beide Begriffe beziehen sich in dieser Arbeit auf den Endkunden/Endverbraucher.
3 Die Stichprobe dieser Umfrage umfasst 1.048 Personen ab 18 Jahren.
4 Vgl. Bundestags-Drucksache 18/7881 vom 16.03.2016: Antrag, Kleidung fair produzieren EU-Richtlinie für Transparenz- und Sorgfaltspflichten in der Textilproduktion schaffen, S. 5.
5 Everledger nutzt ein Scanverfahren, mit dem Diamanten anhand ihrer Maße und physischen Charakteristika identifiziert werden (vgl. Everledger Ltd. [2017], o. S.).
6 Unternehmen können die Daten, die über die gesamte Supply-Chain hinweg gewonnen werden ferner für die Anpassung und Verbesserung von Prozessen oder die Weiterentwicklungen von Produkten verwenden.
7 Dies ist in Bezug auf die Unternehmen zu betrachten, mit denen der entsprechenden Use-Case besprochen wurde.
8 Malvertising beschreibt schädliche Software, die sich hinter Online-Werbeanzeigen verstecken und bei einem Klick auf diese Online-Anzeigen möglicherweise Viren auf den Endgeräten verbreitet oder unerwünschte Programme herunterladen (vgl. Li/Clark [2015], S. 113).
9 Vgl. Scherf [2017d], Interview vom 11.12.2017. Dieser Use-Case wurde in Interviewphase II mit Marketing-Experten nicht behandelt.